Mode-Doku "Picture Me": Models, hört die Signale"
Von Meredith Haaf
Hungern, Demütigungen, sexuelle Belästigung: Das Model Sara Ziff hat mit seinem Ex-Freund einen Dokumentarfilm über die Modebranche gedreht, der die abgründige Seite der Glamourwelt zeigt. Mit einer Gewerkschaft will die streitbare Schöne jetzt mehr Rechte für die Laufsteg-Arbeiterinnen erkämpfen.
Derzeit läuft in New York City die Fashion Week. Ein Ereignis, das der Kreativdirektor Kevin Krier im Dokumentarfilm "Picture Me" so beschreibt: "Das ist, als ob man den Nervenzusammenbruch von jemandem betreten würde." Der Nervenzusammenbruch dauert, wohlgemerkt, vier Wochen und findet zwei Mal im Jahr in vier Städten statt, jeweils im Frühjahr und im Herbst. Designer, Models, Stylisten und Journalisten hetzen von New York nach London, Mailand und Paris. Dort schlagen sie sich um die neusten Trends, die besten Kollektionen, die aufregendsten Präsentationen - und natürlich die heißesten Mädchen.
Saisonstart bedeutet für Models Casting-Stress: "Je mehr Shows du läufst, desto mehr Leute sehen dich," erklärt Sara Ziff, Laufstegmodel und zudem Co-Regisseurin und Hauptprotagonistin von "Picture Me". "Dann steigt die Wahrscheinlichkeit, für Anzeigenkampagnen gebucht zu werden - und erst da verdient man richtig Geld." Keine Frage, die Modewelt dreht sich um Glamour, Schönheit und Kreativität. In erster Linie aber geht es um Geld und Macht. Das zeigt "Picture Me" auf eindringliche und höchst unterhaltsame Weise. Gedreht hat ihn das Model Ziff gemeinsam mit ihrem Ex-Freund Ole Schell. Bislang war die Dokumentation nur auf Festivals zu sehen - und wo der Film lief, sorgte er für Furore. Derzeit verhandeln die beiden mit Filmverleihern in den USA und Europa.
Finanzielle Ausbeutung
Kein Wunder, schließlich ist kaum eine Branche für Außenstehende so faszinierend und undurchsichtig zugleich: Zwar hat jeder schon mal von Modepromis wie Kate Moss, Karl Lagerfeld oder "Vogue"-Chefin Anna Wintour gehört. Doch über die realen Bedingungen, unter denen in der Modewelt gearbeitet wird, wissen nur wenige Bescheid. Dank Unterhaltungsformaten wie "Germany's Next Topmodel" denken viele an irgendetwas mit "großen Träumen", "harter Arbeit" und "Drama, Baby". Finanzielle und sexuelle Ausbeutung dagegen sind kaum ein Thema, auch weil die Betroffenen bislang kaum darüber sprechen. Das ändert sich allerdings gerade, und der Erfolg von "Picture Me" trägt zu dieser Entwicklung bei.
Über fünf Jahre dauerten die Dreharbeiten zu "Picture Me". Sie begannen als Freizeitbeschäftigung eines Verliebten: Filmstudent Schell begleitete seine Freundin mit der Kamera zu Fototerminen und Laufstegjobs, und schnitt ihr als Geschenk kleine Filmchen zusammen. Sein Vater brachte ihn darauf, das Thema journalistisch aufzubereiten. Während seine damalige Freundin Karriere machte - als Top-Model für Marc Jacobs oder Chanel über die Laufstege lief und für Tommy Hilfiger oder Dolce & Gabbana Kampagnen machte - führte Schell Interviews. Ziff selbst beteiligte sich an der Produktion: "Als Model bist du immer passiv - das war meine Gelegenheit, selbst etwas zu schaffen", sagt sie.
Erschöpfung als Dauerzustand
Konnte ihr Freund nicht dabei sein, nahm Ziff selbst eine Kamera mit, befragte Kolleginnen und ließ auch sie Videotagebücher führen. So sind in "Picture Me" Aufnahmen aus dem Backstagebereich der Chanel-Schau zu sehen, die als eine der teuersten der Branche gilt: Models, die sich wie Schülerinnen auf der Klassenfahrt benehmen oder sich Kette rauchend darüber beklagen, dass ihnen ein rüder Stylist wieder mal die Kopfhaut mit dem Glätteeisen angesengt hat.
Viele Szenen spielen sich in Taxis und Hotels ab, darunter eine der bedrückendsten: Eine völlig erschöpfte Ziff liegt in der Badewanne und erzählt davon, wie ein Fotograf im Backstagebereich versucht habe, sie nackt zu fotografieren und auf ihre Proteste nur mit einem herablassenden: "Vielleicht willst du mal das Privileg genießen, mit mir zu arbeiten", reagiert habe. Demütigung und Müdigkeit lassen sie vor der Kamera in Tränen ausbrechen.
Erschöpfung als Dauerzustand: Ziff berichtet von Arbeitswochen, in denen sie den Atlantik drei Mal überquerte, von Fototerminen, bei denen sie 20 Stunden lang keine Möglichkeit hatte zu essen, und von unnachgiebigen Agenten, die sich nicht mal unter Tränen überzeugen ließen, ihr einen freien Tag zu geben. "Sie lassen dich nicht 'Nein' sagen", erzählt sie, "und das macht dich irgendwann fertig." Einerseits. Andererseits: Bereits mit zwanzig verdiente Ziff doppelt so viel Geld wie ihr Vater. Und der ist Universitätsprofessor.
"Das einzige, was ich mit diesem Job will, ist viel Geld verdienen", sagt denn auch Sena Cech, ein anderes Model. Sie wirkt ironisch und abgeklärt, erzählt aber die heftigste Geschichte des Films: Von einem "sehr berühmten Fotografen, der bekannt dafür ist, dass er sehr sexuell fotografiert" wird sie zum Casting eingeladen. Die Agentur sagt ihr, sie müsse alles nötige tun, um den Job zu bekommen. Zunächst habe der Fotograf sie gebeten, sich auszuziehen - und dann sich selbst ausgezogen. "Und ich denke mir: Wieso zieht er sich aus, den fotografiert ja niemand?" Dann habe der Assistent Fotos gemacht und das Model aufgefordert, das Glied des Fotografen zu packen: "Und kannst du ihn auch drehen, er steht darauf, wenn du ihn ganz fest drehst." Cech macht mit, bekommt den Job - sagt dann aber ab, und erhält nie wieder ein Angebot.
"Definitiv ungewöhnlich", sei Cechs konsequentes Verhalten, meint Sara Ziff. Den meisten Models fehle dazu das Selbstbewusstsein. Übergriffe dieser Art seien an der Tagesordnung: "Alle meine Freundinnen im Business haben mindestens eine solche Geschichte zu erzählen."
Kein Essen
Die Models steigen oft bereits im Alter von 15 oder 16 ins Geschäft ein. "Diese Branche hält sich für etwas Besonderes, und die Menschen, die darin arbeiten, finden so etwas wie ein Arbeitsrecht völlig profan", sagt Dunja Knezevich. Das kroatische Model hat gemeinsam mit ihrer Freundin und Kollegin Victoria Keon-Cohen in Großbritannien erwirkt, dass Models von der Schauspielergewerkschaft Actor's Equity vertreten werden können.
Die beiden stellen Forderungen, die man als gemäßigt bezeichnen kann: Geregelte Arbeitszeiten, insbesondere für Minderjährige, Unfallschutz, Hilfe bei sexueller Belästigung und, ganz wichtig: die Möglichkeit, während eines Shoots etwas zu Essen zu bekommen. "Wenn man sich auf einem hohen Absatz den Knöchel bricht, oder ohnmächtig wird, weil man nicht genug gegessen hat, kommt niemand dafür auf", sagt Knezevich.
Die Agenturen seien oft überlastet. In großen Unternehmen wie IMG oder ELITE repräsentiert ihren Kalkulationen nach ein Agent 150 Frauen. Die Models selbst wiederum seien oft zu jung und unerfahren, um sich selbst kümmern zu können. Seit einem Jahr macht nun die Actor's Equity in der britischen Modeindustrie Lobbyarbeit. Mit Erfolg, sagt Knezevich: "Ich war seitdem auf keinem Termin mehr, wo es keine Essen gab. Und man behandelt mich respektvoller."
Harte Drogen
Sara Ziff will etwas Ähnliches in den USA erreichen. Ihre anonyme Online-Umfrage unter Kolleginnen ergab: 80 Prozent der Befragten berichten von verdächtigen Abzügen auf ihren Kontoauszügen. Eine weit verbreitete Agentur-Praxis: alle möglichen Kosten auf die Rechnungen der Models setzen, um diese so lange wie möglich unter Vertrag zu halten. Ein Viertel hatte Erfahrung mit sexuellem Missbrauch am Arbeitsplatz, doch nur eine Einzige hatte sich von ihrer Agentur unterstützt gefühlt. Die Mehrheit gab an, im Beruf mit harten Drogen in Kontakt gekommen zu sein.
"Gerade die jüngsten und damit auch verletzlichsten Mädchen waren am wenigsten bereit, Kritik an der Branche zu üben", sagt Ziff. Klar, wer in einen exklusiven Club will, möchte nicht als erstes dessen Regeln ändern. Und die Angst, austauschbar zu sein, ist unter Models, die schnell Opfer einer Trendwende werden können, ganz besonders ausgeprägt.
Hinzu kommt: "Wenn es gut läuft, verdient man als Model so viel Geld, dass man denkt: das ist der Preis, den ich zahlen muss", sagt Ziff. Immer wieder weist sie auf das Missverhältnis zwischen Leistung und Bezahlung von Models hin. Trotzdem: "Nur weil es nicht Schwerstarbeit ist, sind wir trotzdem Arbeiterinnen."
Damit das anerkannt wird, holt sie sich jetzt Unterstützung von Knezevich und Keon-Cohen. Die drei treffen sich auf der Fashion Week in New York. Sie wollen eine Gewerkschaft für Models in den USA gründen - und mitten im glamourösen Wahnsinn für ein Minimum an Sicherheit sorgen.