Stella Lucia: Das österreichische Topmodel über Landkind-Vorteile und Tränen vor der Kamera
VON JANA SCHIBLI
4. MÄRZ 2020
Aus einem 2500-Seelen-Dorf in Österreich wagte Stella Lucia Deopito vor fünf Jahren den Sprung in die Mode. Nun ist sie das Gesicht der neuen Ellesse-Kampagne und ist schon für Karl Lagerfeld, Nick Knight und Steven Klein vor der Kamera gestanden. Wir sprachen mit dem Model über prägende Momente ihrer Karriere, ein tränenerfülltes Fotoshoot und die Vorteile, die man als Landkind mit in die große Modewelt nimmt.
Es gibt ein Video auf Youtube, in dem Stella Lucia Deopito weint. Die Tränen laufen ihr Gesicht nur so herunter, denn sie trägt ein metallenes Mundstück, das ihre Zähne freilegt und ihre Lippen schmerzhaft auseinander presst. Das Model aus Österreich war damals 16 Jahre alt und auf ihrem absoluten Lieblings-Shoot: “Das war eins meiner ersten Editorials und deswegen so aufregend … und irgendwie ganz schräg”, erzählt sie über das Telefon aus New York.
Die daraus entstandenen Bilder, fotografiert von Nick Knight für das AnOther Magazine, stellen eindrücklich den Zauber von Deopito dar. Dank des fürchterlich schönen Mundstücks, das Schmuckdesigner Shaun Leane für die Herbst/Winter-Kollektion 2000/01 von Alexander McQueen entwarf, wirkt es, als würde Stella Lucia die Zähne fletschen. Sie ist gefasst und gefährlich zugleich. Als wir sie nach dem tränenerfüllten Video fragen, lacht sie nur und sagt “das ist nicht angenehm zu tragen, aber es war interessant, so etwas mal zu sehen.” Das McQueen-Shoot bleibt bis heute ein unvergessenes Erlebnis.
Heute ist Deopito (in der Modewelt als Stella Lucia bekannt) 21 Jahre alt, lebt in New York und der Star der neuen “For the Win”-Kampagne des Sportswear-Label Ellesse. Sie hat fünf erfolgreiche und spannende Jahre hinter sich: In der italienischen Vogue grinste sie mit roten Lippen und Haut wie Alabaster für Fotograf Steven Klein, für Chanel wurde sie von Karl Lagerfeld in weißen Strümpfen vor einem grünen Garten fotografiert, und gelaufen ist sie unter anderem schon für Prada, Alexander McQueen und Gucci.
“Ich habe nie damit gerechnet, dass ich Model werde”, sagt Deopito ein wenig verlegen. Die Österreicherin mit den hellblonden Haaren und dem frechen Blick war jedoch schon immer an Mode interessiert, las als Jugendliche Modemagazine wie VOGUE und hatte das vage Ziel, Fotografin zu werden. Nachdem sie aber mit 14 von einem Stylisten auf Facebook angeschrieben wurde und ein wenig in die Modebranche einstieg, ging es mit 16 Jahren zur ersten Fashion Week nach Paris. “Ich hatte dann das Glück, dass ich gleich für Givenchy gebucht wurde – exklusiv”, erzählt sie. Mit dem damaligen Kreativdirektor Riccardo Tisci arbeitete sie ein ganzes Jahr zusammen und posierte neben Julia Roberts für eine weltweite Kampagne. Die Schule brach sie ab, danach folgten unzählige Shoots und Laufsteg-Auftritte.
Die kühle, elfenhafte Schönheit von Deopito, ihr Schmollmund und ihre Unbefangenheit vor der Kamera faszinieren. Von düsteren Fotostrecken zu sonnigen Catwalk-Auftritten ist sie unglaublich wandelbar. “Ich bin sehr schnell erwachsen geworden durch das Modeln”, sagt Deopito. Sie ist überzeugt, dass ihre Kindheit in Haus im Ennstal, einem 2500-Seelen-Dorf in der österreichischen Steiermark, geholfen hat, den Halt nicht zu verlieren. Nach New York, wo sie der Arbeit halber vor drei Jahren gezogen ist, nahm sie Bodenständigkeit und ihren ruhigen Charakter mit: “New York ist so eine schnelle Stadt, wo immer alles irgendwie drunter und drüber geht. Wo ich herkomme, ist alles sehr langsam”, sagt sie, das erste “a” gemütlich ausgedehnt.
Dank ihrem Beruf darf Deopito die Welt bereisen. Ihre liebste Show war die legendäre Präsentation der Chanel Resort-Kollektion 2017 in Havanna, “mit kubanischer Musik am Runway ... und es war draußen auf der Straße”, erinnert sie sich. Mit dem 2019 verstorbenen Chefdesigner Karl Lagerfeld sprach sie immer Deutsch: “Sobald er erfahren hat, dass ich aus Österreich bin, hat er immer gerne Deutsch gesprochen. Er hat sich immer daran erinnert, dass ich deutschsprachig bin … er war ein großartiger Mensch.”
Dass Modeln auch alles andere als ein Traumjob sein kann, haben in den letzten Jahren verschiedene Enthüllungen klar gemacht – von Casting-Direktor James Scullys Instagram-Berichten bis hin zu einem Artikel in der New York Times, in dem Models über nicht regulierte Arbeitszeiten und unfaire Behandlung klagten. Deopito findet Organisationen wie die 2012 gegründete Model Alliance, die für faire Arbeitsbedingungen kämpft und Models Hilfe anbietet, “sehr positiv”. “Man wird darauf aufmerksam gemacht als Model”, sagt sie. “Zum Glück”, fährt sie fort, war sie noch nie auf deren Hilfe angewiesen.
Auch der wachsende Fokus in der Mode auf Diversität, die von Labels wie Telfar, Collina Strada und Fenty Beauty (für die Deopito schon neben Gründerin Rihanna gemodelt hat) vorangebracht wird, ist ihr wichtig: “Ich glaube, die Beauty-Standards sind definitiv in eine sehr positive Richtung gerückt – mittlerweile werden mehr unterschiedliche Leute zelebriert”, sagt sie. Davon profitiert auch Deopito, die mit ihrer Größe von 1,77 Meter eher zu den kleineren Models gehört. Die Österreicherin pocht auf mehr Diversität und darauf, dass noch “mehr Menschen mehr Chancen” bekommen sollten.
Dazu gehört auch die Transparenz in der Mode. Fotograf Nick Knight, der für das McQueen-Shoot mit Deopito hinter der Kamera stand, ist da ein Vorreiter: Mit seiner Plattform SHOWstudio streamt er seine Fotoshoots live auf Youtube. Das sind achtstündige, unbearbeitete Videos, dank derer man hinter die Kulissen riesiger Produktionen sehen kann. So auch das unvergessliche Shoot von Stella Lucia Deopito, bei dem sie Archiv-Stücke von Alexander McQueen trug und bedrohlich posierte. Da schauten aber nicht nur neugierige Unbekannte zu: “Meine Mama in Österreich hat geschaut, mein Freund – alle haben mich dabei beobachten können”, lacht sie.
Unter Beobachtung zu stehen, daran ist Deopito mittlerweile gewohnt. Trotzdem hält sie sich abseits der Laufstege und Shoots fern von Kameras. Ihr Instagram-Profil ist bescheiden, die Bildunterschriften kurz, private Urlaubsfotos selten – in einer Zeit, in der die Social-Media-Accounts eines Models fast so wichtig sind wie die Maße, ist das erfrischend. Anziehen tut sich sie in der Freizeit eher lässig, wie ein typisches “Model Off Duty” eben: Cowboystiefel, weite Hosen, T-Shirts.
Da passt Deopitos neue Rolle in der “For the Win”-Kampagne für das Sportswear-Label Ellesse hervorragend rein. In sportlichen Basics im Retro-Look posiert sie auf dem Tennisplatz, im Cabrio und am Pool. Sie fährt zwar privat am liebsten Ski, aber die Bauchtaschen und vor allem die Tenniskleidchen von Ellesse haben es Deopito angetan: “Die einfach im Alltag tragen – die sind ganz süß”, sagt sie.
Und wie sieht es aus mit der Zukunft? Deopito will erst mal mit dem Modeln weitermachen, so lange wie es geht. Danach würde sie gerne Schauspielerin werden: “Es wäre ein Riesen-Traum, das verwirklichen zu können”, sagt sie, “aber sonst kann es eigentlich so weitergehen wie jetzt.” New York soll für einige Zeit noch ihr Zuhause sein. Trotzdem reist sie für Feiertage und für das Skifahren gerne zurück nach Haus im Ennstal, wo ihre Familie immer noch lebt. “In den Bergen – das ist irgendwie mein Lieblingsplatz”, lacht sie, “die Berge und die Natur.”